FePrax
Diagnostische Praxis zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs und Bundeslanddisparitäten im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention (FePrax)
Angaben zum Forschungsprojekt
Projektteam:
Prof.in Dr.in Vera Moser (GU Frankfurt), Dr. Benjamin Haas (GU Frankfurt), Prof. Dr. Marcus Hasselhorn (DIPF), Dr. Elena Galeano Weber (DIPF), Rebecca Aissa (DIPF), Dr. Ellen Brodesser (HU Berlin), Monique Rettschlag (HU Berlin)
Durchführende Institution(en): Goethe-Universität Frankfurt, Humboldt-Universität zu Berlin, Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation | DIPF
Projektlaufzeit: August 2021 – Januar 2025
Projektbeschreibung:
Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (FKZ: 01NV2106) geförderten Projekt FePrax (Laufzeit 2021-2024) wurde an drei Standorten (Goethe-Universität Frankfurt am Main, Humboldt Universität zu Berlin, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) eine Analyse von 54 sonderpädagogischen Überprüfungsverfahren sowie 50 anschließenden Beratungsgesprächen durchgeführt. Dazu konnte ein Sample aus den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen und NRW in Bezug auf die Förderbedarfe Lernen, emotional-soziale Entwicklung, Geistige Entwicklung, Sprache sowie Autismus aus den Jahren 2022 und 2023 eingeholt werden. Die Analysen beziehen sich auf pädagogische und psychologische Gütekriterien der Gutachten, auf die Struktur und Zielstellung der anschließenden Elternberatungen sowie auf die Nachnutzung der Gutachteninformationen durch Lehrkräfte. Die Ergebnisse wurden in zentrale Forschungsbefunde eingebettet und abschließend mit bildungspolitischen Empfehlungen versehen.
Im Projekt wurde nach den Qualitätsmerkmalen der Gutachten aus pädagogischer und psychologischer Sicht gefragt und danach, wie Sorgeberechtigte zu den identifizierten Förderschwerpunkten und schulischen Förderorten in den abschließenden Beratungsgesprächen beraten werden. Dabei interessierten auch landes- und förderschwerpunktspezifische Besonderheiten. Ziel des Projektes war es, Einblicke in die Vielfältigkeit der sonderpädagogischen Diagnostik zu erlangen sowie Hinweise zu einer verbesserten Beratungspraxis (im Hinblick auf Validität, Bildungsgerechtigkeit und in Bezug auf die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention) zu geben.
Zum methodischen Vorgehen:
Das Forschungsinteresse im Projekt FePrax liegt auf der Sichtbarmachung der Prozesse, Praxis und Praktiken bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Zentrale Fragestellung ist dabei, welche Begründungslinien und Argumentationen zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs in Anschlag gebracht werden. Insofern liegt das Augenmerk der empirischen Untersuchung nicht nur auf dem förderdiagnostischen Verfahren im engeren Sinne (Erstellung von Gutachten), sondern darüber hinaus auch auf den damit verbundenen Beratungen hinsichtlich Schulwahl und Förderort zwischen professionellen Diagnostiker:innen, (Sonder-)Pädagog:innen und Sorgeberechtigten.
Das methodische Vorgehen im Gesamtprojekt unterteilt sich in einen quantitativen und einen qualitativen Untersuchungsstrang. Zur Auswertung der Gutachten wurde für die quantitative und qualitative Analyse ein gemeinsam erstelltes Kategoriensystem verwendet. Das Kategoriensystem wurde zunächst durch Bezug auf psychologische, erziehungswissenschaftliche und förderpädagogische Theorien deduktiv erstellt. Im qualitativen Auswertungsteam wurde es dann in mehreren Auswertungsschleifen des konsensuellen Codierens induktiv am Material ergänzt. Das Kategoriensystem umfasst insgesamt 59 Kategorien (davon elf Hauptkategorien).
Im Zuge des qualitativen Auswertungsverfahrens der Gutachten wurde die Qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) angewendet. Auf dieser Grundlage konnten in Anlehnung an Gläser & Laudel (2009) Argumentationsketten gebildet werden.
Im quantitativen Teilprojekt wurden unter Nutzung von Machine Learning Modellen und statistischen Methoden quantitative Analysen durchgeführt sowie die in den Gutachten eingesetzten standardisierten Testverfahren in Bezug auf ihre inhaltliche Passung und Dateninterpretation geprüft.
Für die Auswertung der Beratungsgespräche wurde in einem mehrstufigen Prozess ein theoriegeleitetes Kategoriensystem zur qualitativen Interviewanalyse von Beratungsgesprächen im Kontext von Verwaltungshandeln entwickelt (Krause 2003, Bohne 2018, s. Abb. 4). In mehreren Auswertungsschleifen des konsensuellen Kodierens wurde dieses induktiv am Material ergänzt.
Informationen zur Datenerhebung:
Akquiriert wurde ein Sample aus 54 Gutachten und 50 Beratungsgesprächen aus den Bundesländern BY, BE, BB, HE und NRW. Die darin vertretenen SPF umfassen Lernen (n=10), Emotional-soziale Entwicklung (n=9), Geistige Entwicklung (n=16), Sprache (n=14) sowie Autismus (n=5), die in den Jahren 2022 und 2023 festgestellt wurden. Es handelt es sich um ein sogenanntes ‚convenience sample‘, da es außer den genannten Förderschwerpunkten und Bundesländern keine weiteren Vorgaben zur Einholung gab.
Die Beratungsgespräche wurden durch den Dienstleister transkripto wortgetreu transkribiert. Mit dem Unternehmen wurde ein AV-Vertrag zum Umgang mit personenbezogenen Daten gemäß der DSGVO abgeschlossen. Die jeweiligen Audiodateien und Transkriptionen wurden 30 Tage nach Zeitpunkt der Lieferung gelöscht.
Anonymisiert wurden alle Verweise auf Orte, Schulen, Personen und Institutionen, inklusive Logos von Schulen. Des Weiteren wurden alle Daten, die kontextuelle Rückschlüsse zulassen, anonymisiert. Im Einzelnen sind dies Vor- und Nachnamen, Geburtsdaten, Städte, Dörfer, Adressen, Institutionen, Berufe der Sorgeberechtigten, individuelle Kontextinformationen wie bspw. Hinweise auf Behinderung eines Geschwisterteils.
Die Beratungsgespräche wurden von einem Dienstleister wortgetreu (sprachlich leicht geglättet) transkribiert und anonymisiert. Entfernt wurden alle Verweise auf Orte, Schulen, Personen und Institutionen, inklusive Logos von Schulen. Des Weiteren wurden alle Daten, die kontextuelle Rückschlüsse zulassen, anonymisiert. Im Einzelnen sind dies Vor- und Nachnamen, Geburtsdaten, Städte, Dörfer, Adressen, Institutionen, Berufe der Sorgeberechtigten, individuelle Kontextinformationen wie bspw. Hinweise auf Behinderung eines Geschwisterteils. Schulnamen wurden durch „Schule A/B“, Namen von pädagogischen Fachkräften durch Kürzel für ihre Profession (z.B. E: Erzieher:in; KL: Klassenlehrer:in, D: Diagnostiker:in), Namen von Eltern durch E1/E2 ersetzt.
Auf diese Weise konnte ein Korpus von 54 Gutachten und 50 Beratungsgespräche erhoben werden, die im Projekt ausgewertet wurden. Die Analyse der Gutachten erfolgte am Standort der GU Frankfurt (qualitativ) und am Standort DIPF (quantiativ). Die Beratungsgespräche wurden an der HU Berliin (qualitativ) ausgewertet.
Beschreibung der Datenkollektion:
Die Datenkollektion umfasst insgesamt 47 Fälle die jeweils aus einem sonderpädagogischen Festellungsgutachten und einem Transkript des Beratungsgesprächs bestehen. Darüber hinaus sind zu jedem Fall ein kurzes Abstract sowie eine Erhebungs- und Projektbeschreibung vorhanden. Die Fälle verteilen sich wie folgt auf die Förderschwerpunkte:
Autismus: 5 Fälle
Emotionale und soziale Entwicklung: 7 Fälle
Geistige Entwicklung: 10 Fälle
Lernen: 12 Fälle
Sprache: 13 Fälle
Das Datenmaterial kann auf Anfrage zu Zwecken wissenschaftlicher Forschung und Lehre genutzt werden.
Projektpublikationen
- Blasse, N. & Haas, B (2024). Intersektionale Inklusionsforschung: Zum Verhältnis von race, class, gender mit der Differenzkategorie dis*ability. Empirische Pädagogik, 38. Jahrgang, Heft 2, 5-20. https://doi.org/10.62350/SGFI5563
- Haas, B., Brodesser, E., Aissa, R., Galeano Weber, E. M., Althaus, N., Rettschlag, M., Uhlemann, N., Landgraf, S., Moser, V., & Hasselhorn, M. (2025). Diagnostische Praxis zur Feststellung sonderpädagogischer Förderbedarfe in ausgewählten Förderschwerpunkten. In K. Beck, R. Ferdigg, D. Katzenbach, J. Kett-Hauser, S. Laux, & M. Urban (Hrsg.), Förderbezogene Diagnostik in der inklusiven Bildung. Professionalisierung – Spezifische Unterstützungsangebote – Übergänge in die berufliche Bildung(Bd. 2, S. 25–41). Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830999614
- Haas, B., & Amirpur, D. (2025). Sensemaking im sonderpädagogischen Feststellungsverfahren bei Mehrsprachigkeit. Fallarchiv Kindheitspädagogische Forschung (FalKi), 8, 3–24.
- Haas, B., & Blasse, N. (2025). Sorge als Bestandteil pädagogischer Praktiken? Das sonderpädagogische Feststellungsverfahren im Fokus. In S. Schuppener, J. Budde, M.-A. Boger, N. Leonhardt, A. Goldbach, A. Hackbarth, S. Mackert & A. Doğmuş (Hrsg.), Tagungsband Sorge und Solidarität(S. 167–177). Opladen: Barbara Budrich.